Forschungsbereich Übertragungsnetze

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Während vordergründig der Begriff der Energiewende lediglich einen Umbau der Erzeugungsstruktur suggeriert, so gilt es aus gesamtsystemischer Sicht eine weitaus umfangreichere Aufgabenstellung zu beherrschen. Diese umschließt die zunehmende geographische Entkopplung von Erzeugung und Verbrauch, die massive Integration leistungselektronischer Komponenten in der Energieinfrastruktur sowie die sehr volatile Leistungsbereitstellung nachhaltiger Erzeugungsanlagen. Anspruch der am IEH durchgeführten Forschung im Bereich der Übertragungsnetze ist daher maximale Versorgungssicherheit mit Nachhaltigkeit und neuen Technologien stimmig zu vereinen. Dies erfordert die Betrachtung von Problemstellungen mit hoher Gesamtkomplexität und gekoppelten systemischen Abhängigkeiten. Besonders die Entwicklung methodischer Kompetenz zur Bewertung durchgeführter Energie-systemsanpassungen in den Bereichen dynamischer Stabilität sowie transienter Strom- und Spannungsbeanspruchungen wird forciert vorangetrieben.

Forschungsschwerpunkte im Bereich Übertragungsnetze

Harmonische Interaktionen zwischen HGÜ-Systemen und dem Drehstromübertragungsnetz
Spannungseinprägende Umrichterregelung zur Netzstabilisierung im Energienetz der Zukunft

Dämpfung von Polradwinkelschwingungen

Transiente Ausgleichvorgänge in Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystemen und deren Auswirkung auf die Isolationskoordination
Untersuchung des Netzbetriebs bei großer Frequenzspreizung
Entwicklung echtzeitfähiger Netzmodelle zur Analyse der frequenzabhängigen und transienten Stabilität von Umrichtern im realitätsnahen Netzbetrieb

 

Harmonische Interaktionen zwischen HGÜ-Systemen und dem Drehstromübertragungsnetz

Mit zunehmender Installation von erneuerbaren Energieerzeugern stellen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssysteme (HGÜ) eine effiziente Lösung dar, die täglichen sowie saisonalen Schwankungen aus der Erzeugung erneuerbarer Energien örtlich voneinander zu entkoppeln. Derzeit befinden sich mehrere nationale und internationale HGÜ-Korridore (z.B. Nordlink, Ultranet, Südlink, …) in Planung, welche gemäß dem aktuellen Netzentwicklungsplan Leistungen von jeweils 1 -2 GW übertragen sollen. HGÜ-Links repräsentieren somit das Rückgrat des zukünftigen deutschen Energienetzes. Daher muss untersucht werden, welche Interaktionen zwischen den leistungsstarken HGÜ-Systemen und dem bestehenden Drehstromnetz auftreten können. Durch vielschichtige Vorteile hinsichtlich energiesystemrelevanter Eigenschaften und operativer Flexibilität wird in heutigen HGÜ-Projekten zunehmend die Modulare Multilevel Umrichtertopologie (MMC) eingesetzt. Daher ist ein weiteres Ziel dieser Arbeit zu untersuchen, welche netzstützende Flexibilitäten die Modulare Multilevel Umrichtertopologie (MMC) durch Implementierung entsprechender Regelungsverfahren zur Verfügung stellen kann.

Ansprechpartner: Carolin Hirsching, M.Sc.

 

Spannungseinprägende Umrichterregelung zur Netzstabilisierung im Energienetz der Zukunft

Bedingt durch den bereits beschlossenen Ausstieg aus der Atom- und Kohleenergie sinkt die Anzahl konventioneller Erzeugungseinheiten mit Synchrongeneratoren kontinuierlich. Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, sowie die Bereitstellung der Momentanreserve erweist sich dadurch als große Herausforderung. Der Wandel der Erzeugungslandschaft soll in Deutschland zukünftig unter anderem durch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsstrecken (HGÜ) unterstützt werden. Wegen ihrer flexiblen Regelbarkeit soll hierfür die Modulare Multilevel Umrichtertechnologie (MMC) zum Einsatz kommen. Um die Stabilität des Netzes bei hoher Durchdringung leistungselektronischer Energieerzeuger gewährleisten zu können, soll durch eine geeignete Regelungsstrategie der MMCs Momentanreserve bereitgestellt werden. Aussichtsreiche, geeignete Regelungsstrategien entstammen dem Bereich der ´spannungseinprägenden Umrichterregelung´. Dabei gilt es den Begriff `spannungseinprägend` weiter zu definieren, sowie entsprechende Regelungsstrategien auf den MMC zu adaptieren bzw. zu entwickeln. Weiter muss die Bereitstellung der Energie durch entsprechende Speichersysteme gewährleistet werden, welche untersucht, sowie kostenoptimiert in ein Gesamtsystem eingebunden werden müssen.

 

Dämpfung von Polradwinkelschwingungen

Mit der Energiewende nimmt der Anteil umrichterbasierter Betriebsmittel, wie Windkraft- und Solaranlagen, aber auch Umrichter für HGÜ-Systeme, im Übertragungsnetz zu. Gleichzeitig nimmt der Anteil von konventionellen Synchronmaschinen weiter ab. Da die Synchronmaschinen einen wichtigen Beitrag zur dynamischen Stabilität des Übertragungsnetzes leisten, werden neue Regelungsverfahren untersucht, um das System auch in Zukunft zuverlässig zu stabilisieren. Besonderer Fokus liegt hierbei auf modellbasierten prädiktiven Regelungsverfahren.

Eine Besonderheit des IEHs ist, dass wir einen Versuchsstand mit einer Synchronmaschine (53 kVA) haben, an dem verschiedene Regelungsverfahren praktisch erforscht werden können. Der Versuchsstand wird stetig erweitert.

Ansprechpartner: Timo Nowak M.Sc.

 

Transiente Ausgleichvorgänge in Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystemen und deren Auswirkung auf die Isolationskoordination

Für zukünftig geplante Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstrassen (HGÜ, engl. HVDC) besteht in Deutschland per Gesetz der Vorrang der Erdverkabelung. Aufgrund unter anderem naturschutzrechtlicher Gründe sind jedoch auch kurze Streckenabschnitte mit Freileitungen denkbar. In diesen Mischübertragungssystemen bestehend aus Kabel- und Freileitungsabschnitten kommt es bei schnell veränderlichen (transienten) Vorgängen zu Reflexionen der einlaufenden Wanderwellen an den Übergängen Kabel zu Freileitung wodurch lokal erhebliche Überspannungen auftreten können. Teilverkabelte HGÜ-Systeme können eine Neubewertung der Isolationskoordination als auch eine Neuentwicklung des Schutzkonzeptes und der Fehlerklärungsstrategien erfordern. Hierzu werden am IEH elektromagnetische Transienten (EMT) Modelle entwickelt, mittels derer äußere Überspannungen (atmosphärische Entladungen) als auch innere Überspannungen (ausgehend von den Umrichtern) abgebildet und beurteilt werden können. Dazu ist neben dem Verhalten der Freileitungs- und Kabelstrecke mit ihren verteilten, frequenzabhängigen Parametern eine detaillierte Modellierung der Peripherie einschließlich Freileitungsmasten und Muffen erforderlich. Zur Analyse von inneren Überspannungen, ausgelöst durch einpolige Fehler und anschließendem Blockieren der IGBTs in den Umrichter-Stationen, sind umfangreiche Kenntnisse im Bereich der Leistungselektronik, Regelungstechnik und EMT-Modellierung erforderlich. Mittels der EMT-Systemstudien können Handlungsempfehlungen zur Isolationskoordination und zuverlässigen Auslegung von HGÜ-Betriebsmitteln erstellt werden.

Ansprechpartner: Carolin Hirsching, M.Sc.

 

Untersuchung des Netzbetriebs bei großer Frequenzspreizung

Deutschland ist Teil des sich von Marokko bis in die Türkei ausdehnenden kontinentaleuropäischen Verbundnetzes (ENTSO-E Synchronous Area of Continental Europe). Wegen der sinkenden über synchron rotierende Schwungmassen bereitgestellten Momentanreserve und gleichzeitig zunehmenden grenzüberschreitenden Stromtransiten steigt die Gefahr, dass im Falle einer unvorhergesehenen Systemauftrennung (wie zuletzt bei dem Störfall am 8. Januar 2021) unbeherrschbare Frequenzgradienten auftreten.

Begleitend zu am IEH bereits bestehender Forschung zur Bereitstellung synthetischer Momentanreserve über Umrichter wird in diesem Forschungsthema untersucht, inwieweit eine Ausweitung der bestehenden Betriebsgrenzen von 47,5 Hz bzw. 51,5 Hz möglich ist. Neben zukünftigen Betriebsstrategien für Verbundnetze ist dies auch für die Auslegung der Frequenzregelung in Microgrids interessant.

Vor simulativen Studien zu Auswirkungen eines Netzbetriebs mit großer Frequenzspreizung stehen zunächst experimentelle Untersuchungen an einzelnen Netzkomponenten im Fokus. So müssen z. B. Sättigungseffekte in induktiven Betriebsmitteln, die Messgenauigkeit von Wandlern sowie das Verhalten von Haushaltsgeräten und Industrielasten bei großen Frequenzabweichungen untersucht werden.

Ansprechpartner: Johanna Geis-Schroer, M.Sc.

 

Entwicklung echtzeitfähiger Netzmodelle zur Analyse der frequenzabhängigen und transienten Stabilität von Umrichtern im realitätsnahen Netzbetrieb

Im Rahmen der Energiewende steigt die Durchdringung leistungselektronischer Systeme in AC-Energienetzen – getrieben durch die Dezentralisierung der Energieerzeugung und des Anstieges von umrichtergespeisten Lasten – immer mehr an.  Diese Veränderungen wirken sich auf das systemische Verhalten des Netzes aus und bergen potentielle Gefahren für die Stabilität zukünftiger Netzszenarien. Deshalb gilt es, die Auswirkungen und das Verhalten von selbstgeführten Umrichtern am Netz näher zu untersuchen. Um eine flexible Testumgebung zu schaffen, bietet sich eine Power Hardware-in-the-Loop Umgebung an, in welcher Netzszenarien möglichst realitätsnahe simuliert werden und das Verhalten verschiedener Regelungsstrategien an realen oder emulierten Umrichtern getestet werden kann. Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, diese Testumgebung zu entwickeln und mit ihrer Hilfe, die frequenzabhängige und transiente Stabilität selbstgeführter Umrichter näher zu analysieren.

Ansprechpartner: Alexander Bisseling M.Sc.